Im Interview:
Alexander Luckow


„‚Die tun ihr Bestes für ihre Mieter’ – das ist das größtmögliche
Marken-Kompliment für ein Wohnungsunternehmen.“



Was bedeutet „Marke“ in der Wohnungswirtschaft?
Alexander Luckow: „Jedenfalls mehr als das Ergebnis schneller Imagekampagnen. Das Markenbild eines Unternehmens entsteht in den Köpfen der Kunden. Es ist ihre gesammelte Erfahrung mit dem Produkt und der Organisation. Je reicher diese Erfahrung ist, desto reicher kann die Marke sein.
Wohnungsunternehmen sind darum geradezu prädestiniert, als Marke wahrgenommen zu werden – wenn sie die Relevanz-Schwelle überwinden."


‚Relevanz-Schwelle’ – Was ist das?
Luckow: „In der heutigen Werbe-Welt stellt sich am Anfang nicht die Frage: ‚Mit welcher Botschaft wird meine Marke wahrgenommen?’ Es geht vielmehr darum: ‚Gewinnt sie überhaupt Aufmerksamkeit für ihre Botschaft?’ Viele Botschaften erhalten durch einen uralten neurobiologischen Mechanismus gar nicht die Chance, uns zu überzeugen und unser Handeln zu beeinflussen.“


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Wie funktioniert dieser Mechanismus?
Luckow: „Unser Gehirn ist eine seit der Steinzeit trainierte Selektionsmaschine. Kriterium seiner in Zehntelsekunden ablaufenden Auswahl: ‚Nutzt mir das Wahrgenommene? Ist es – steinzeitlich gesprochen – für das Überleben relevant? Was nicht über diese Schwelle kommt, wird vom Hirn nicht weiter verfolgt. Darum ist ‚Relevanz’ entscheidend für jede Markenkommunikation.
Ein Alltagsbeispiel für dies Gesetzmäßigkeit: Erst als ich einmal fremde Katzen über die Ferienzeit zu betreuen hatte, nahm ich den enormen Regalgang mit Tierfutter in meinem Supermarkt überhaupt wahr. Bevor er für mich relevant wurde, hätte ich geschworen, es gäbe ihn überhaupt nicht.“


Ist eine Wohnung eine Katze?
Luckow: „Natürlich nicht. Aber die Grundforderung nach Relevanz in der Markenkommunikation gilt auch für die Wohnungswirtschaft – mit einem wichtigen Unterschied: Hier ist es nicht der kurze Relevanz-Augenblick am Supermarktregal, in dem sich das Markenversprechen erfüllt. Die Marke eines Wohnungsunternehmens entsteht und beglaubigt sich im Aufbau und im Führen einer langen und tragfähigen Beziehung mit dem Mieter – Monat für Monat, über viele Jahre.

Hilfreich ist dabei ein weiterer Unterschied zum Konsumgut: Die Marke des Wohnungsunternehmens findet nicht nur auf einem Dosenetikett statt. Sie wird vielfältig relevant im Leben der Kunden – mit der eigenen Wohnung, den Häusern des Unternehmens in der Stadt, dem Verhalten des Hauswarts, mit der Aufmerksamkeit der Kundenbetreuer am regelmäßigen Mieterstammtisch. Das ist eine Relevanz-Dichte, von der Katzenfutterhersteller nur träumen können. Für Wohnungsunternehmen steht das Relevanz-Fenster in vielen Situationen offen. Und jedes mal lohnt die bewusste Gestaltung dieser Wahrnehmungen, denn sie zahlen wirksam auf das eigene Markenkapital ein.“


Wo zum Beispiel?
Luckow: „Da, wo viele Wohnungsunternehmen die Markenkommunikation üblicherweise sehr kurz halten: Beim Troubleshooting. Hier erreicht bei Mietern – Betroffenen und solchen, denen derlei auch passieren könnte – der Relevanzpegel ein Maximum. Wenn das Wohnungsunternehmen in Problemsituationen in den Augen des Mieters gut reagiert, bleibt das unvergesslich. Hier entstehen die prägenden Wahrnehmungen. Der Umgang mit Fehlern lässt die Marke eines Wohnungsunternehmens sichtbar und ihre Bewertung im positiven Fall glaubwürdig werden. Aber das ist schon der nächste Schritt auf dem Weg zum stabilen Markenbild.“


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Die Bewertung des Wahrgenommenen?
Luckow: „Ja. Die unbewusst gesammelten Eindrücke und Bilder wollen mit dem Vorwissen über das Unternehmen zu einer stabilen Bewertung kombiniert sein. Sie werden zu handlungs- und entscheidungsleitender Information ‚in Form gebracht’. Diese Information sollte im Kopf des Kunden widerspruchsfrei sein. Das möchte das Gehirn so. Und dafür kann das Wohnungsunternehmen eine Menge tun: Es kann alle beeinflussbaren Signale nach außen so justieren, dass sie mit den spontanen Wahrnehmungen zu einem kohärenten Gesamtbild verschmelzen.

Der größtmögliche Erfolg einer solchen Strategie:
  • Die Marke festigt sich in vielfachem Fakten-Check zu einem positiven Vorurteil über das Unternehmen. Bei Fehlern lautet die Interpretation dann ‚Das kann mal passieren. Im Großen und Ganzen sind die aber in Ordnung.’
Und der größtmögliche Misserfolg:
  • Jeder Fehler bestätigt das negative Vorurteil gegenüber der Hochglanz-Marke: ‚Typisch, die versprechen mehr als sie halten.' Imagewerbung wird dann für die Marke zur selbstgestellten Falle.

Meine Erfahrung aus vielen Jahren Beratung: Die Marke basiert gerade für Produkte wie das Wohnen nicht auf einem Feuerwerk der Werbung sondern auf dem Schwarzbrot der geduldigen Reputationsverbesserung. Hier zu investieren, lohnt sich: Mieter wollen vertrauen. Weil die Wohnung so eng am Kern des Lebens ist, haben sie eine Sehnsucht nach Bestätigung: ‚Mein Wohnen ist sicher und mein Vermieter ist ein loyaler Partner.’“


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Das mag für die Pflege von Bestandskunden gelten. Aber hilft es auch im Neukunden-Geschäft?
Luckow: „Gerade bei Wohnungsunternehmen wirkt sich Investition in die Bestandskundenzufriedenheit unmittelbar auf das Neukundengeschäft aus. Weil kommunale Wohnungsunternehmen auf einem lokalen Markt agieren, kennt jeder Mietinteressent jemanden, der schon Bestandsmieter ist.

Außerdem: Wer heute eine Wohnung sucht, macht sich vorab ein Bild von dem Unternehmen, das für viele Jahre sein Vermieter sein soll. Er wird – in Zeiten von Google – ohne Schwierigkeiten einen Blick in die Mieterzeitung und auf die Webangebote des Kundenservice werfen können. Was er dann noch in der Tageszeitung erfährt, wird das Bild abrunden – so oder so. Marke ist Reputation.“


Stichwort Zielgruppenmarketing: Differenzierte Reputationen für die verschiedenen Zielgruppen und Generationen?
Luckow: „Bloß nicht! Wichtig ist ein gemeinsames Dach für die Marke. Wohnungsunternehmen sollten es nicht so machen wie manche Banken. Bei denen hängen direkt nebeneinander Plakate: ‚Wir sind Spezialisten für Studenten. Wir sind Spezialisten für Senioren. Wir sind Spezialisten für Familien. Wir sind Spezialisten für Freiberufler. Da fragt sich ein Kunde: Wen mögen die eigentlich besonders? Mich oder die anderen? So wird Zielgruppen-Anbiederung zum Bumerang.

Wohnungsunternehmen brauchen eine übergreifende Markenerzählung, die für alle Zielgruppen gilt. Und sie haben es dank des lokalen Marktes und ihrer Gesellschaftsverfassung als kommunales Unternehmen oder als Genossenschaft leicht damit. Ihre Kunden und ihre Mitarbeiter leben und wohnen in der selben Stadt. Die Marken-Erzählung dazu: ‚Als Bürger haben wir das gemeinsame Interesse, unsere Stadt zu einem guten Ort fürs Leben zu machen.’ Oder umgekehrt gedacht: ’Würden wir uns wie ‚Haie’ verhalten, würden wir das Gemeinwesen schädigen, in dem wir selbst leben.’ Das kann als Motiv unternehmerischen Verhaltens vielfach variiert und beglaubigt werden – generell und auf die verschiedenen Zielgruppen heruntergebrochen. So können auch Zielgruppenangebote widerspruchsfrei und ohne Konkurrenz untereinander unter die Marke subsumiert werden.“

















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Markenerzählung? wie erzählt man eine Marke?
Luckow: „Zu allererst durch kohärentes Unternehmenshandeln in einer Vielzahl von Einzelfällen. Und dann durch die mediale Multiplikation dieses Verhaltens. Das sind die Geschichten, die sich in den öffentlichen Medien und den Unternehmensmedien erzählen lassen. Und das beste: Diese Geschichten werden von den Betroffnen selbst gerne und unaufgefordert weitererzählt: ‚Virales Marketing’, ohne dass dafür eine teure Spezialagentur eingekauft werden müsste.

Hier liegt die Stärke einer lokalen Wohnungsgesellschaft als Markenunternehmen: Es ist unendlich viel Realität da. Die Häuser, die Mieter, deren tägliche Wohnerfahrung. Das ist der Rohstoff für erfolgreiche Markenbindung in der Wohnungswirtschaft.
Das arme Katzenfutter hat nur seine Verpackung und seinen Platz im Supermarktregal. Den Rest der Marke muss es erfinden und sich beispielsweise durch teure Promi-Testimonials beglaubigen lassen.

Wohnungsunternehmen haben da es viel besser. Sie brauchen keine angeheuerten Promis als Zeugen. Sie können echten Mietern und Mitarbeitern Gesicht und Stimme geben – und zwar am besten nach dem Muster: Problem erkannt, Problem bearbeitet, aus dem Problem gelernt. Dieser Grundton der Kommunikation ist weitaus glaubwürdiger als das beliebte Markenstatement „Wir sind die besten und wir haben keine Probleme“. Gerade das Unperfekte macht eine Marke vertrauenswürdig, weil sich die Kunden darin spiegeln können. ‚Die tun ihr Bestes’ ist das größte Kompliment, das ein Wohnungsunternehmen und seine Mitarbeiter bekommen können. Der Grund: Dieser Satz ist das Positivste, das ein Mieter auch über sich selbst sagen würde.“


Vielen Dank für das Gespräch.




















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